Der Mord an Walter Lübcke zeigt erneut, dass Gewalt durch militante Neonazis immer noch unterschätzt wird.

Immer wieder berichten Zeitungen über Nazi-Skandale, rechte Terror-Gruppen und Neonazis, die Waffen sammeln. Dabei fällt auf: Das ist nicht neu. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es immer wieder Fälle von rechten Anschlägen und Morden. In den 1950er Jahren entdeckte die Polizei Lager mit Waffen und Sprengstoff beim »Bund Deutscher Jugend«, einer Nazi-Organisation, die vor allem gegen Linke vorgehen wollte. Mitglieder dieser Organisation haben Listen mit den Namen ihrer politischen Gegner erstellt. Solche Listen gibt es auch heute. Sie dienen dazu, Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen, auszuspähen, zu bedrohen und anzugreifen.

Zum rechten Terror gehören auch Morde. Der bekannte sozialistische Aktivist Rudi Dutschke wurde 1968 von einem Rechten mit einer Schusswaffe angegriffen und starb Jahre später an diesen Verletzungen. In der jüngeren Vergangenheit erschoss vermutlich ein Neonazi den CDU-Politiker Walter Lübcke. Zwischen 2000 und 2007 ermordeten die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mindestens zehn Menschen, von Enver Simsek im September 2000 in Nürnberg, über Halit Yozgat im April 2006 in Kassel bis zu der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 in Heilbronn. In den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaften sind immer wieder ähnliche Fehler zu erkennen, die eine Bekämpfung des rechten Terrors erschweren.

Netzwerke – keine Einzeltäter
Meistens gehen die Behörden davon aus, dass die Täterinnen und Täter alleine gehandelt haben. Das stimmt jedoch fast nie. Es braucht erstens Leute, die Waffen und Sprengstoff besorgen oder bei Herstellung, Lagerung oder Transport von Bomben helfen, und zweitens gibt es immer Leute, mit denen sich die Täter vor der Tat austauschen. Bei diesem Austausch kann es um die Vorbereitung der Tat gehen, es kann aber auch darum gehen, sich im Hass gegen zum Beispiel linke, schwarze oder jüdische Menschen zu bestätigen. Diese Hintergründe beziehen die Ermittler oft nicht ein. Bei dem schwerwiegendsten Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik, dem Attentat auf das Oktoberfest 1980, gilt bis heute Gundolf Köhler als Einzeltäter, obwohl viele Hinweise auf weitere Tatbeteiligte deuten.

Rechter Terror hat Geschichte
Wie beschrieben, ist rechter Terror nicht neu. Wenn aber die Tradition dieses Terrorismus nicht erkannt wird, gelingt es nicht, die Gefahr richtig einzuschätzen und die gefährlichen Strukturen zu zerschlagen. Die Morde des NSU-Netzwerkes wurden lange nicht als rechte Anschläge erkannt. Das hatte auch damit zu tun, dass Wissen über die Geschichte von rechtem Terror und entsprechende Neonazi-Texte nicht berücksichtigt wurden. So hinterließen die Neonazis nach den Morden keine Bekenner-schreiben. Das wurde als Argument vorgebracht, warum es kein Terrorismus sein könne. Dabei gibt es Texte von Neonazis, die genau dieses Vorgehen beschreiben.

Rassismus spielt eine wichtige Rolle
Ein anderer Grund, warum die Morde des NSU nicht erkannt wurden, ist Rassismus. Die meisten Opfer waren Migranten, und die Ermittlungen waren stark beeinflusst von rassistischen Vorstellungen über Migranten. Deshalb nahmen die Ermittlerinnen und Ermittler lange Zeit an, bei den Morden ginge es um Drogen oder andere kriminelle Geschäfte, oder die Morde hätten etwas mit Kultur und Herkunft der Opfer zu tun. Um rechten Terror zu erkennen, ist es wichtig, sich mit der rechten Gedankenwelt zu beschäftigen und vor allem zu erkennen, dass Rassismus oder auch der Hass gegen Linke in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Das hat einen Einfluss auf die Täter, weil sie sich bestätigt fühlen und deshalb glauben, sie dürften oder müssten sogar Gewalt ausüben.

Rechter Terror ist eine Bedrohung für viele Menschen in unserer Gesellschaft. Der Staat muss diese Menschen schützen. Dafür ist es wichtig, die Bedrohung genau zu erkennen.

Martina Renner

Martina Renner ist Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktionn

»Staatsversagen« bei Ermittlungen gegen den NSU

  • Telefonliste
    Als die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Januar 1998 untertauchten, fanden die Ermittler Listen mit Namen und Telefonnummern, darunter mehrere V-Personen der Behörden. Viele der darin verzeichneten Personen tauchten später als Unterstützer des NSU auf. Allerdings suchten die Behörden nicht nach einem Terrornetzwerk. Im Frühjahr 2013 kam durch den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages heraus, dass diese Listen nie ausgewertet wurden. Eine weitere Telefonliste wurde zwischenzeitlich vernichtet.
  • Staatsanwaltschaft Chemnitz
    Im Mai 2000 beobachteten Beamte des thüringischen Verfassungsschutzes den gesuchten Uwe Böhnhardt bei einem Woh-nungsumzug in der Bernhardstraße 11 in Chemnitz. Die Wohnung gehörte Mandy Struck, die später einräumte, den unterge-tauchten Terroristen geholfen zu haben. Angeblich waren die Beamten sich nicht sicher. Die Abklärung der Identität mit dem LKA Thüringen und dem BKA dauerte so lange, dass Böhnardt nicht mehr auffindbar war. Knapp vier Monate später ermordeten die NSU-Mitglieder ihr erstes Opfer, Enver Şimşek, in Nürnberg.
  • Andreas Temme
    Das letzte Opfer mit Migrationshintergrund, das die NSU-Terroristen – soweit bekannt – ermordeten, hieß Halit Yozgat. Im April 2006 wurde der 21-Jährige in seinem Internetcafé in Kassel erschossen. Anwesend war ein Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen, Andreas Temme, der selbst für rechtsradikale Neigungen bekannt war. Der damalige Innenminis-ter und spätere Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier (CDU), hinderte die Ermittler der Polizei daran, Andreas Temme und die von ihm geführten V-Personen zu befragen.
  • Geschredderte Akten
    Am 4. November 2011 flog der NSU auf, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Banküberfall in einem in der Nähe geparkten Wohnwagen verbrannten. Am 8. November stellte sich Beate Zschäpe in Jena. Am gleichen Tag setzte Axel M. im Bundesamt für Verfassungsschutz einen Prozess in Gang, im Zuge dessen wichtige Akten über die Rolle von Geheimdienst-V-Leuten im Umfeld des NSU vernichtet wurden. Auch später bemerkten die Politiker in den Untersuchungsausschüssen, aber auch Nebenkläger im Gerichtsverfahren immer wieder, dass die Behörden lückenhafte Akten zur Verfügung stellten.
  • Demente Zeugen
    In den Untersuchungsausschüssen und im Gerichtsverfahren konnten sich viele der vorgeladenen Beamten, Politiker und V-Personen angeblich an nichts erinnern. Von »Schwarm-Demenz« einiger Ausschuss-Zeugen sprach in diesem Zusammenhang die Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Untersuchungsausschuss des Bundestages, Petra Pau. Sie müsse vermuten, dass der Verfassungsschutz nicht die Verfassung, sondern die Nazis vor dem Zugriff der Exekutive geschützt habe.
  • Unwillige Politiker
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Opfern vollständige Aufklärung versprochen. Als Verantwortlichen für die behördeninterne Aufarbeitung setzte sie Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche ein, der zuvor beim Verfassungsschutz für die Operationen zuständig war, deren Akten nun vernichtet worden waren. Zuletzt sperrte das Land Hessen einen internen 250-Seiten-Bericht zum NSU für die nächsten 120 Jahre.
Zurück zur Übersicht