Michael Lüders, Politologe und Publizist im Gespräch mit Klar über den Konflikt um den Iran
Herr Lüders, der Iran ist immer wieder das Ziel europäischer Mächte. Sie verweisen in Ihren Büchern, zuletzt in »Armageddon im Orient«, auf den Sturz von Premierminister Mossadegh im August 1953. Was macht den Iran so interessant für Großmächte?
Michael Lüders: Historisch gesehen war der Iran aufgrund seiner geostrategischen Lage von großem Interesse für die damaligen Kolonialmächte. In der Gegenwart hat die Islamische Republik Iran auch aufgrund ihres Verhaltens den Vorwand geliefert, das Land politisch einzuhegen. Vor allem ist der Iran der geopolitische Widersacher der beiden wichtigsten Verbündeten der USA in der Region, nämlich von Israel und von Saudi-Arabien. Beide Länder sind nicht daran interessiert, den Machteinfluss Irans wachsen zu sehen. Nun haben wir eine Situation, nach der Aufkündigung des Atomabkommens durch die USA, die dem Iran die wirtschaftliche Luft zum Atmen nimmt. Vor allem die Sekundärsanktionen, die die USA verhängt haben, bedeuten, dass auch Firmen in Drittländern, etwa aus der EU, nicht mehr ohne weiteres mit dem Iran Handel treiben können, sofern sie keine Strafverfolgung riskieren wollen. Das ist die Gefechtslage: ein »Schurkenstaat«, aus Sicht zahlreicher westlicher Akteure, der geostrategisch, politisch, wirtschaftlich gut mit Russland und China verbunden ist. Das macht die Sache zusätzlich gefährlich, weil sich im Kriegsfall Russland und China zumindest indirekt hinter den Iran stellen werden. Damit ist ein gefährliches Eskalationspotenzial gegeben.
Können Sie einschätzen, wie sich die Situation der iranischen Bevölkerung unter den Sanktionen im letzten Jahr entwickelt hat?
Ja, die Sanktionsauswirkungen sind für die iranische Bevölkerung verheerend. Das wichtigste Exportgut des Irans ist Erdöl. Darüber hinaus ist der Iran noch der drittgrößte Exporteur von Erdgas. Es war so, dass vor Beginn der erneuten US-Sanktionierung der tägliche Export von Erdöl bei etwa 2,5 Millionen Barrel lag. Heute exportieren die Iraner 250.000 bis 300.000 Barrel am Tag. Iranischen Angaben zufolge braucht das Land einen täglichen Export von etwa 850.000 Barrel Öl. Das ist das Minimum, um die eigene Wirtschaft am Laufen halten zu können. Im Klartext: Diese Sanktionen strangulieren die Wirtschaft des Irans mit dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung. Zunächst hat die Inflation massiv angezogen. Im Bereich der medizinischen Versorgung gibt es gravierende Engpässe. Und vor allem gibt es keinen Banken- und Zahlungsverkehr mehr mit dem Iran, weil das weltweit dominierende SWIFT-System unter amerikanischer Regie steht. Für die Zivilbevölkerung im Iran sind diese Sanktionen verheerend. Die Mittelschicht wird in die Verarmung getrieben. Die soziale Basis für eine Öffnung des Regimes wird dadurch stranguliert.
Viele Menschen sehen die Konflikte als ein Problem zwischen Schiiten und Sunniten. Was haben religiöse Traditionen mit diesen neuen Kriegen in der Region zu tun?
Zunächst einmal muss man feststellen, dass der Iran sich als führende schiitische Macht in der islamischen Welt betrachtet, schon allein deswegen, weil die meisten Schiiten im Iran leben. Saudi-Arabien betrachtet sich als Schutzmacht der Sunniten. Man muss aber sagen, dass dieser Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran nicht ein theologischer Konflikt Sunniten gegen Schiiten ist. Im Kern geht es bei Konflikten dieser Art immer um die Verteilung von Macht und Ressourcen. Das große Zerwürfnis zwischen Saudi-Arabien und dem Iran kam auch erst nach der iranischen Revolution 1979. Bis dahin hatten der Schah von Persien, Reza Pahlavi, und die Herrscherdynastie der Al-Saud in Saudi-Arabien beste Beziehungen. Das waren beides absolutistische Monarchien. Erst der Wandel im Iran führte dazu, dass man in Saudi-Arabien den Iran als Bedrohung gesehen und zunehmend die »schiitische Karte« gespielt hat. Saudi-Arabien ist eng verwoben mit der US-amerikanischen Politik. Seit der Amtsübernahme von Donald Trump gibt es eine Intensivierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern, auch weil Saudi-Arabien neben Israel in der Konfrontation mit dem Iran das entscheidende Land ist. Klare Indizien sprechen dafür, dass Teile der US-Regierung einen Regimewechsel in Teheran anstreben. Dafür braucht man Verbündete, und da ist Saudi-Arabien ein idealer Kandidat.
Viele der Konflikte in den vergangenen 15 Jahren, Irak-Krieg, Libyen und Syrien, aber auch in der Ukraine, blieben militärisch regional begrenzte Konflikte. Wie würde sich ein Krieg in Iran davon unterscheiden?
Ein Krieg gegen den Iran würde ein Desaster auslösen, denn das Land ist ein geopolitisch bedeutender Akteur in der Region. Wenn der Iran angegriffen werden sollte, würde die Regierung wohl wissen, dass sie militärisch den USA nichts entgegenzusetzen hat. Das Rüstungsbudget der Iraner beläuft sich auf 16 Milliarden US-Dollar jährlich. Das Rüstungsbudget der USA auf 700 bis 750 Milliarden US-Dollar. Saudi-Arabien gibt mehr als 70 Milliarden Dollar aus im Jahr, Israel etwa 16 Milliarden Dollar. Sie haben sich also auf eine asymmetrische Kriegsführung vorbereitet, auf eine Art Guerillataktik. Würde der Iran angegriffen, zögen die Iraner mit Sicherheit andere Länder in der Region in den Krieg hinein, um zu vermeiden, dass der Krieg ausschließlich auf iranischem Territorium geführt wird. Aber was, wenn der Krieg sich ausweitet? Wenn die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Israel, der Libanon alle einbezogen würden in diesen Konflikt? Dann würde es eine Kernschmelze geben, die nicht mehr aufzuhalten wäre.
Ausgerechnet die britische Regierung hat Anfang Juli den iranischen Tanker »Grace 1« in Gibraltar festsetzen lassen. Wie bewerten Sie diese britische Militäraktion?
Eigentlich ist Großbritannien Teil der Staaten, die das Atomabkommen mit dem Iran am Leben erhalten wollen. Laut britischer Presse erfolgte diese Aktion in enger Absprache mit der US-Regierung. Insbesondere der damalige Nationale Sicherheitsberater John Bolton soll sowohl auf die Spanier als auch auf die Briten eingewirkt haben, etwas gegen die »Grace 1« zu unternehmen. Die Spanier haben offenkundig nicht die Bereitschaft gehabt, den Wünschen der USA zu entsprechen, die Briten sehr wohl. Dabei hat nicht nur die enge Anbindung Großbritanniens an die USA eine Rolle gespielt, sondern auch der bevorstehende Brexit. Laut Guardian gab es die Überlegung: Wenn ihr, die Briten, nach dem Ausstieg aus der EU Handelsverträge mit uns zu Vorzugsbedingungen abschließen wollt, erwarten wir Kooperation in geopolitischen Fragen. Jedenfalls wurde hier ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Denn die Freiheit der Seewege ist natürlich eine elementare Formel des Welthandels, seit mehreren hundert Jahren.
Was ist das eigentliche Ziel der Vereinigten Staaten?
Das strategische Ziel der USA dabei ist es ganz offenkundig, die eigene Isolation zu überwinden. Niemand will eine militärische Konfrontation mit dem Iran, mit Ausnahme der USA, Israels und Saudi-Arabiens. Aber da endet die Allianz der Willigen. Sogar die Vereinigten Arabischen Emirate sind in den letzten Wochen auf den Iran zugegangen. Kurzum: Diese Politik des maximalen Drucks der USA geht davon aus, der Iran werde irgendwann kapitulieren. Das ist ein Denkfehler derjenigen, die auf Konfrontation setzen. Das wird nicht geschehen. Dass die Lage eskaliert, kann durch militärische Aktionen oder die wirtschaftliche Lage geschehen. Es ist eine Frage von wenigen Monaten, und das Land ist komplett zahlungsunfähig. Was dann? Die iranische Führung wird nicht der Implosion ihrer Wirtschaft zusehen. Das ist ebenso eine Gefahr wie ein möglicher Kriegsbeginn aufgrund eines Missverständnisses, einer Provokation oder eines dummen Zufalls. Es ist eine sehr, sehr gefährliche Situation.
Das Interview führte Malte Daniljuk
Das Interview ist eine stark gekürzte Version eines Gesprächs vom 13. August 2019. Das ausführliche Interview können sie hier als MP3 herunterladen.
Michael Lüders ist Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft.
Er studierte Islamwissenschaften, Politologie und Publizistik. Als erfolgreicher Roman- und Sachbuchautor veröffentlichte er zuletzt »Armageddon im Orient – Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt«, erschienen im C.H. Beck Verlag
Foto: Christoph Mukherjee
Das explosive Waffenlager am Persischen Golf
Die Staaten am Persischen Golf rüsten seit vielen Jahren massiv auf. Zusammen gaben die Golfstaaten allein im vergangenen Jahr knapp 100 Milliarden US-Dollar für Waffen aus. Das höchste Militärbudget leistet sich Saudi-Arabien. Die Ausgaben für Kriegsgerät steigen bereits seit dem Jahr 2003, als die USA den Irak überfielen und die weltweiten Preise für Erdöl begannen, in den Himmel zu steigen.
Auf der Golfhalbinsel befinden sich einige der größten US-Militärbasen. Die Fünfte Flotte der USA ist mit über 28.000 Militärangehörigen in Kuwait, Bahrain und Katar stationiert. Auf der Al Udeid Air Base in Katar sind alle Arten von Bombern, Kampfflugzeugen und Drohnen stationiert. Zusammen verfügen die engen Verbündeten am Golf – US-Präsident Donald Trump, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und der saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman – über ein beispielloses Waffenarsenal.
Auch deutsche Rüstungsbetriebe profitieren stark von den Petrodollars der Golfstaaten. Seit 2009 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte an Saudi-Arabien im Wert von mehr als 3,7 Milliarden Euro genehmigt. Allein 2018 stimmte die SPD-CDU-Regierung neuen Rüstungsausfuhren an die Vereinigten Arabischen Emirate im Wert von 45,3 Millionen Euro zu, wie aus Anfragen der Linksfraktion hervorgeht.

Ausgaben für Rüstung am Persischen Golf im Jahr 2018