Streng geheim: Bundesregierung will keine Auskunft über NATO-Transporte Richtung Russland geben
Um an diese Informationen zu kommen, musste ich in die Geheimschutzstelle des Bundestages gehen: keine Notizen machen, das Handy draußen lassen und natürlich öffentlich nicht darüber reden. Worum ging es? Es ging um die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zum Umfang der Truppenbewegungen der Bundeswehr sowie von NATO-Verbänden über Ostdeutschland und seine Grenzübergänge Richtung Osteuropa. Es spricht Bände, dass die Bundesregierung dies unter Verschluss hält. Dabei wäre Transparenz angesagt. Denn es geht um etwas, das uns alle betrifft: den Frieden in Europa. In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in Europa deutlich verschlechtert. Alle Beteiligten haben dazu beigetragen.
Aber wir müssen zunächst den Blick kurz zurück in die 1990er Jahre richten. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen der DDR, der BRD und den vier Siegermächten war ein zentraler Baustein, ohne den die deutsche Wiedervereinigung gar nicht denkbar gewesen wäre. Die Sowjetunion sagte damals zwar ja zu einer NATO-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands. Allerdings unter der Bedingung, dass auf das Gebiet der ehemaligen DDR keine NATO-Truppen verlegt werden. Und Deutschland verpflichtete sich in einem Zusatzprotokoll, alle Fragen in Bezug auf das Wort »verlegt« »in einer vernünftigen und verantwortungsbewussten Weise« zu entscheiden und dabei »die Sicherheitsinteressen jeder Vertragspartei« zu berücksichtigen.
Man kann sich jetzt trefflich darüber streiten, ob die NATO-Truppen, die in Ostdeutschland Station machen, um über unsere östlichen Nachbarländer an die russische Grenze zu gelangen, im juristischen Sinne unter diese Klausel fallen. Dem Geiste dieser Vereinbarung vom Ende des Kalten Krieges widersprechen sie allemal. Alle europäischen Länder sind seit Jahren dabei, die Friedensdividende der 1990er Jahre zu verspielen – aus eigenem Machtkalkül.
Stück für Stück dehnte sich die NATO nach Osten aus, immer näher an die russische Grenze. Heute stehen sich deutsche und russische Soldaten im Baltikum gegenüber – 80 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Und zur gleichen Zeit ist in der Ostukraine Krieg. Ein Land wird zerrissen zwischen den Interessen des Westens und Russlands. Seit der völkerrechtswidrigen Aufnahme der Krim in die Russische Föderation sind wir endgültig wieder da angelangt, wovon wir uns doch so hoffnungsvoll 1990 verabschieden wollten: Aufrüstung und Konfrontation.
Die NATO-Länder haben erklärt, zwei Prozent ihres BIP für Rüstung auszugeben. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, das zügig umzusetzen. Für Deutschland würde das bedeuten, den Militärhaushalt zu verdoppeln – auf über 80 Milliarden Euro. Dann hätte allein Deutschland einen deutlich größeren Rüstungsetat als das heutige Russland. Schon jetzt gibt die gesamte NATO 1.000 Milliarden Dollar für Rüstung aus. Eine absurde Zahl.
Sichert man so Frieden und Sicherheit? Sicher nicht. Mehr Waffen haben die Welt noch nie sicherer gemacht. Provokationen und das Pflegen von Feindbildern auch nicht. Es war der Wille zur Entspannung, der die wichtigsten Abrüstungsschritte der 1980er Jahre möglich machte – und letztlich das Ende des Kalten Krieges.
Ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft – massenhaft wurden in den letzten Jahren Material und Truppen aus den verschiedensten NATO-Ländern über das Gebiet der neuen Bundesländer gen Osten transportiert. Und die Tendenz ist steigend, kein Ende in Sicht. Ein Skandal. Dass die Bundesregierung die Fakten darüber geheimhalten will, liegt sicher auch daran, dass sie weiß: Die Mehrheit der Menschen gerade in Ostdeutschland lehnt diese Politik ab.
Genauso, wie es ohne das Ja der Sowjetunion zum Zwei-plus-Vier-Vertrag und damit zur Wiedervereinigung keine deutsche Einheit gegeben hätte, gibt es heute auf Dauer keine Sicherheit in Europa ohne Russland. Es wird sie nur mit Russland geben – und dafür brauchen wir nicht mehr Rüstung und mehr Truppen, die nach Osten marschieren, sondern den Willen zur Entspannung, den Dialog und spürbare Schritte der Abrüstung.
Mattias Höhn ist sicherheitspolitischer Sprecher und Ostdeutschlandbeauftragter der Linksfraktion