­Treuhand-Trauma

Der Runde Tisch erteilte im März 1990 der Treuhand den Auftrag:
»Das Volkseigentum wahren und im Interesse der Allgemeinheit verwalten.«

Die Treuhand kontrollierte

  • etwa 14 000 Betriebe mit mehr als 4 Millionen Beschäftigten.
  • 2,4 Millionen Hektar Wald und 25 Milliarden Quadratmeter Immobilien.
  • Viele Betriebe wurden abgewickelt oder aufgespalten.

Die Folgen

  • Bis 1993 verschwanden gut 4,361 Millionen Arbeitsplätze.
  • Bis 1994 wurden 3 Millionen Ostdeutsche arbeitslos oder in »arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen« geparkt.
  • Noch 1998 waren fast 2,5 ­Millionen Menschen in Ostdeutschland auf Arbeitssuche.

Die Kosten

  • Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder schätzte den Wert des DDR-Volksvermögens auf etwa 300 Milliarden Euro.
  • Nach der Auflösung hinterließ die Treuhand einen Schuldenberg von mehr als 125 Milliarden Euro.

Aufarbeitung

  • Klagen und Verfahren wegen Insiderhandels, Preisabsprachen und Subventionsbetrugs.
  • Prominente Fälle: Kombinat Schiffbau in Rostock, VEB dkk Scharfenstein, Aufbau Verlag, VEB Wärmeanlagenbau in Berlin.
  • Untersuchungsausschüsse von 1993 bis 1998 ohne Einsicht in die vollständigen Akten.

Ganze Regionen plattgemacht

Abwicklung, Ausverkauf, Betrug – das verbinden viele Ostdeutsche mit der Treuhand. Aus gutem Grund: Die Art und Weise, wie gewaltige Vermögensbestände privatisiert wurden, hat zur anhaltenden Strukturschwäche ostdeutscher Bundesländer wesentlich beigetragen. Die Treuhand und die damalige schwarz-gelbe Regierung haben dafür gesorgt, dass selbst lukrative Filetstücke zu Spottpreisen an westdeutsche und ausländische Investoren verhökert wurden. Die Käufer selbst hatten selten Interesse an einer Aufrechterhaltung der Produktion. Deindustrialisierung, Vernichtung von Arbeitsplätzen, Enteignung der Bevölkerung mit teilweise korrupten Methoden – das ist die traurige Bilanz einer Behörde, die das Gegenteil treuhänderischer Politik betrieben hat.

Wenn die eigene Leistung und Qualifikation plötzlich nichts mehr zählt, wenn man seine Arbeit verliert, weil selbst gewinnträchtige Betriebe als »marode« abqualifiziert und plattgemacht werden, dann reißt das tiefe Wunden. Zumal das zweifelhafte Agieren der Treuhandanstalt bis heute nachwirkt: Noch immer sind Ostdeutsche kaum in Führungspositionen vertreten, sie arbeiten häufiger zu Niedriglöhnen und besitzen im Durchschnitt gerade mal ein Drittel so viel Vermögen wie westdeutsche Haushalte. Sicher: Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Aber man sollte mindestens Fehler und Verantwortliche benennen und Letztere dazu zwingen, Rechenschaft abzulegen.

Sahra WagenknechtSahra Wagenknecht, ist Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE

Eine Frage des Respekts

»Unfug«, sagt Ex-Finanzminister Theo Waigel. Thilo Sarrazin, damals für die Treuhandaufsicht im Finanzministerium zuständig, findet es »albern«, einen Untersuchungsausschuss zur Treuhand einzurichten. Der Zuspruch, der mich dagegen vor allem aus Ostdeutschland erreicht, spricht eine andere Sprache. Es gibt ein großes Bedürfnis nach Aufarbeitung. Und die heftigen Gegenreaktionen zeigen, dass dieses Thema denjenigen, die bis heute die Nachwendepolitik verteidigen, ziemlich unangenehm ist.

Die Treuhandpolitik ist der Kardinalfehler der Nachwendezeit. Natürlich war der Zustand der DDR-Wirtschaft vielerorts schlecht, aber dieses Argument trägt nicht, denn dann hätte die Treuhand den Zustand verbessern müssen. Aber ihre Bilanz ist verheerend. Die Treuhandpolitik war – besonders in der Art und Weise, wie Dinge durchgesetzt wurden – die Fortsetzung des Kalten Kriegs mit anderen Mitteln. So hätte »West« mit »Ost« niemals umgehen dürfen. Viele Wunden sind nicht geheilt. Wer auch die emotionale Einheit nach 30 Jahren vollenden will, muss noch einmal zurückschauen. Dafür brauchen wir eine parlamentarische Untersuchung, ohne die eine notwendige wissenschaftliche Aufarbeitung unzureichend bleibt. Nur ein solcher Ausschuss kann entscheidende Akten, die jetzt nach 30 Jahren zugänglich werden, in kurzer Zeit anfordern und die politisch Verantwortlichen von damals vorladen.

Die Treuhand war kein Staat im Staate. Wer die Berichte des Bundesrechnungshofs aus den  1990er Jahren liest, hätte einige Fragen an die ehemalige Leitung des Finanzministeriums. Die Rechnungsprüfer beschreiben ein Komplettversagen in Sachen Treuhandaufsicht. Das Ministerium werde seiner »politischen und finanziellen Verantwortung nicht gerecht«. Einerseits wurde die Führungsebene der Treuhand von der Haftung selbst bei grob fahrlässigem Handeln befreit, andererseits überließ das Ministerium die Treuhand sich selbst.

Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden.

War es Überforderung in politisch bewegten Zeiten oder wollte man in Bonn nicht genau wissen, was bei der Treuhand vor sich geht? Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss, in dem Waigel, Sarrazin und andere erklären, warum sie der Treuhand nicht auf die Finger geschaut haben. Sarrazin sagte 2010 über seine damalige Aufgabe im Finanzministerium: »Jetzt wickeln wir das ganze Zeug möglichst schnell ab.« Falls dies die politische Vorgabe des Ministeriums war, hätten wir noch eine ganz andere Dimension. Denn das Plattmachen der ostdeutschen Industrie war mitnichten der gesetzliche Auftrag der Treuhand. Ja, sie sollte privatisieren, aber die »Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herstellen und somit Arbeitsplätze sichern und neue schaffen«. Diesen Auftrag hat sie nicht erfüllt. Aber wurde dies geduldet oder befördert? Die Aufsichtsverweigerung hat Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven im Osten zerstört. Es ist eine Frage des Respekts gegenüber den Millionen Menschen, die damals ihren Job verloren, diese Zeit im Parlament aufzuarbeiten.

Plenardebatte am 27. Juni 2019 im Bundestag

Dietmar Bartsch

Dietmar Bartsch ist Vorsitzen­der der Fraktion DIE ­LINKE

Besetzt.
Gestreikt.
Gehungert.

Bischofferode in Thüringen war das Zentrum des Kalibergbaus in der DDR. Im April 1993 besetzten 500 Bergleute das Kaliwerk »Thomas Müntzer«. Mit einem Hungerstreik protestierten sie gegen die Abwicklung durch die Treuhand. Gerhard Jüttemann arbeitete als Dreher im Kaliwerk und war stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.

Sie haben damals die Protest­bewegung gegen die Treuhand mitinitiiert. Was haben Sie erreicht? 

Wir haben den Arbeitskampf verloren. Der zielte darauf ab, die Arbeitsplätze in Bischofferode zu erhalten. Trotzdem haben wir den Verantwortlichen sehr viel abgerungen. Mit Hilfe von Bodo Ramelow. Er war damals Gewerkschaftsvorsitzender und kannte sich mit Verhandlungen aus. Wir erreichten einen Sozialplan, ein Schmerzensgeld, und zwei Jahre wurde niemand entlassen. Außerdem haben wir vielen Menschen im Osten ein bisschen Mut gemacht, sich zu wehren. 

Warum hat die Treuhand den Kalibergbau in Bischoffe­rode abgewickelt? 

Die Treuhand hat auf Drängen von BASF und Kali und Salz den Fusionsgedanken aufgegriffen. Bischofferode hat der BASF einfach nicht ins Konzept gepasst. Wir haben unsere Produkte vor allem nach Nord- und Westeuropa geliefert, waren also die größten Konkurrenten für BASF. Indem sie unsere Produktion abschnitten, zwangen sie die Abnehmer, das Kali aus Hessen zu kaufen.

Das Ziel der Treuhand war es eigentlich, Arbeits­plätze zu erhalten!

(lacht) Das haben sie auch geschafft, aber fast ausschließlich in Westbetrieben. Die Ostbetriebe hat man abgewickelt. Von den 30 000 Arbeitsplätzen in der Kaliindustrie sind gerade mal 10 Prozent übrig geblieben. Im Weltmaßstab stand Kali-Ost damals vor dem Westunternehmen Kali und Salz. Letztlich hat die Treuhand Gelder zweckentfremdet, um einen großen Konzern im Westen zu sanieren und zu retten.

Das Interview führte Malte Daniljuk

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