Wer in eine betriebliche oder direktversicherte Altersvorsorge einzahlt, wird zweimal mit Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung belegt. Dabei geht es um einige tausend Euro, die den Versicherten verlorengehen und von den Krankenkassen einkassiert werden.
Rudi Birkmeyer ist ein Kämpfer. Nie steckt er auf, bevor das Etappenziel nicht erreicht ist. Sich durchbeißen, das hat er schon in sehr jungen Jahren gelernt, damals, als er mit dem Radsport anfing. Sein Kampfgeist wurde belohnt – mit deutschen Raderfolgen. Jetzt, im Rentenalter, stieg der Mann aus der Südpfalz wieder aufs Rad. Diesmal ging es nicht um Medaillen oder bessere Zeiten. Rudi Birkmeyer radelte von seinem Wohnort, Offenbach an der Queich, bis nach Berlin für ein Stückchen Gerechtigkeit.
Die will er für sich, die will er aber auch für die vielen anderen, die von ihren Löhnen und Gehältern Monat für Monat etwas abgezwackt haben, um in eine direkte oder betriebliche Altersvorsorge einzuzahlen. Er hatte das getan, damals bei Daimler Benz und auch später noch, nachdem er als selbstständiger Dienstleister für dasselbe Unternehmen weiterarbeitete. Wichtig dabei: Nur Rudi Birkmeyer zahlte die Beiträge für die Altersvorsorge, vom Unternehmen gab es keinerlei Zuschuss.
Mit dem Tag der Auszahlung kam dann allerdings das böse Erwachen. Seine Krankenkasse teilte ihm mit, dass von seiner Altersvorsorge auch Kranken- und Pflegeversicherungsanteile zu zahlen seien. Gleich doppelt: der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberanteil. Für Rudi Birkmeyer bedeutete das: Insgesamt gehen ihm 16.000 Euro verloren. Das ist viel Geld für einen Ruheständler, Geld, das ausschließlich von seinem Lohn abging, Geld, für das er bereits in der Ansparphase sozialversicherungspflichtige Abgaben leistete – und Geld, das nun die gesetzliche Krankenkasse einstreicht. Nicht auf einen Schlag, sondern gestreckt über 120 Monate, das sind zehn lange Beitragsjahre.
Betroffen von dieser Praxis sind nach Schätzung des Verbandes der Direktversicherungsgeschädigten etwa sechs Millionen Menschen. Frauen und Männer, die zwischen 1974 und 2004 eine direkte Altersversicherung abschlossen. Steuerbegünstigt sollte sie sein, und von nochmaligen Sozialabgaben bei der Auszahlung war keine Rede. Rudi Birkmeyers Direktversicherung stammt aus dem Jahr 1987. Mit der Einführung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (siehe Beitrag von M. W. Birkwald unten) im Jahr 2004 schlug dann allerdings selbst für solche Altverträge rückwirkend das Einbehalten von Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträgen zu.
Birkmeyer klagte gegen diesen Eingriff und gegen die doppelte Verbeitragung und – er verlor. Moralisch gab ihm der Richter Recht, doch im Prozess müsse er nach geltender Gesetzgebung entscheiden. Doch Rudi Birkmeyer gibt nicht auf, er »will sein Geld zurück«. Vor Gericht ist er zwar gescheitert, aber mit ihm wehren sich inzwischen immer mehr Direktversicherungsgeschädigte. Nicht mehr jeder still für sich allein, sie gehen an die Öffentlichkeit, haben 2015 einen Verein gegründet. Seitdem werden sie auch endlich ernst genommen, sagt der ehemalige Nationalradfahrer. Es war seine Idee, wieder aufs alte Rennrad zu steigen und mit einer Tour quer durch das Land die Menschen für das Thema zu sensibilisieren.
700 Kilometer radelte er, etappenweise von West nach Ost. Von Offenbach an der Queich über Bad Vibel, Bad Hersfeld, Weißensee, Dessau bis nach Berlin. Kameras, Mikrofone, Reporter waren unterwegs häufig dabei. Das verschwitzte Trikot noch am Leib, mischte sich Rudi Birkmeyer dann in der Urania Berlin unter die gerade stattfindende Politikerrunde. Das war im April dieses Jahres, als öffentlich über die Doppelverbeitragung der Betriebsrenten und Direktversicherungen debattiert wurde. Dass dieser Rentenklau ungerecht ist, bestreitet niemand mehr. Warum aber wird er dann nicht endlich abgeschafft?
Gisela Zimmer

Rudi Birkmeyer war einst aktiver Radsportler. 2019 fuhr er bis Berlin ein »Rennen für die Rente«.

Immer noch fahrtüchtig, das über vierzig Jahre alte Rennrad.

Das Trikot mit der Fahrstrecke. Start in Offenbach an der Queich, Ziel das politische Berlin.
15 Jahre Abzocke sind genug
DIE LINKE. im Bundestag hat es mit reichlich Beharrlichkeit, vielen Anträgen, einigen Plenar- und Geschäftsordnungsdebatten und mehreren öffentlichen Ausschussanhörungen geschafft: Politikerinnen und Politiker aus allen Bundestagsfraktionen wollen die ungerechte doppelte Belastung von Betriebsrenten mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen beenden.
Das war nicht immer so. Die unverschämte Doppelverbeitragung gibt es seit dem Jahr 2004. SPD und Grüne führten sie mit ausdrücklicher Zustimmung der CDU/CSU ein. Die entscheidende Gesetzesänderung wurde 2003 in einer Nacht- und Nebel-Aktion in einem kleinen Satz auf Seite 41 im 69 Seiten langen Gesetz versteckt.
Viele Betroffene merkten deshalb erst einmal gar nichts von der Gesetzesänderung. Beim Auszahlungstermin aber gab es dann für immer mehr Menschen ein böses Erwachen! Ein Fünftel der Betriebsrente oder sogar ihre aus eigenem Geld angesparte Direktversicherung war futsch. Unter dem Kopfkissen wäre das Geld oft besser »angelegt« gewesen. Seitdem haben die Betriebsrentnerinnen und -rentner und die Direktversicherten sage und schreibe über 37 Milliarden Euro mehr an die Krankenkassen überwiesen.
In den vergangenen Jahren wurden wir oft genug für unsere Forderung nach einer Abschaffung der Doppelverbeitragung ausgelacht oder beschimpft. Aber jetzt haben wir die Stimmung gemeinsam mit den Betroffenen endlich gedreht. Gesundheitsminister Jens Spahn hat endlich einen diskussionswürdigen Gesetzentwurf vorgelegt. Zwar ohne eine rückwirkende Entschädigung, aber immerhin ist jetzt die Halbierung des Krankenversicherungsbeitragssatzes im Gespräch und auch die Umwandlung der Freigrenze von bisher 155,75 Euro in einen echten Freibetrag, der allen Betroffenen zugutekäme.
Mit seinem Gesetz wären immerhin 40 Prozent des Problems gelöst. Darum fordere ich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf: Beenden Sie Ihre Blockade und lösen Sie sich von Max Straubingers (CSU) Lobbyistenrat. Sorgen Sie dafür, dass der Spahn’sche Gesetzentwurf nun sofort in den Bundestag gelangt. Dort muss er noch kräftig nachgebessert werden. Frau Bundeskanzlerin: Nach 15 Jahren Abzocke muss endlich Schluss damit sein!
Matthias W. Birkwald ist rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE