Als die Mauer fiel, war ich neun Jahre alt. Bis heute sind mir die Bilder der mutigen Menschen im Kopf, die 1989 auf die Straßen gingen und friedlich demonstrierten. Mauerfall und Einheit sind ihr Verdienst!
Mir, als Kind in Hamburg, wurde die Einheit in der Schule als Erfolgsgeschichte erzählt, und auch in Fernsehen und Radio schien sich alles vor Jubel und Glück zu überschlagen. Die Menschen im Osten hätten jetzt alles, was sie brauchen. Die Realität – so sah ich erst viel später – war eine andere. Viele Hoffnungen im Osten erfüllten sich nicht, im Gegenteil: Während Kanzler Kohl von »blühenden Landschaften« sprach, bestimmten Arbeitslosigkeit, Armutslöhne und Minirenten, Mietenexplosion, Standortverlagerung und Stilllegung das Leben vieler. Die neu gewonnene Reisefreiheit spürten in der Realität nur die, die das Geld für eine Reise nach Paris auch hatten.
Es ist traurig, aber wahr: 30 Jahre nach der Einheit können wir nicht zufrieden sein. Die vielen im Zuge und nach der Einheit gemachten Fehler wurden nicht anerkannt, geschweige denn aufgearbeitet. Darum heißt es für uns als Linke: Weiterkämpfen! Schluss mit der Ungleichheit von Löhnen und Renten, Bildungs- und Aufstiegschancen in Ost und West! Schluss damit, dass die Menschen, die in Ostdeutschland ihre Heimat hatten oder haben, von der Bundesregierung wie Stiefkinder behandelt werden. Nur wenn die Ostdeutschen spüren, dass ihre Lebensleistung zählt und wir miteinander, statt übereinander reden, wird die Einheit vollendet.
Amira Mohamed Ali ist Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE