Linke Stadt- und Landesregierungen unterstützen das kostenlose Schülerticket. Klar hat sich in der Hansestadt Rostock umgesehen, wo Schüler seit Sommer 2019 den ÖPNV gratis nutzen können.
Die Rostocker Verkehrsbetriebe haben einen plötzlichen Sprung bei den Fahrgastzahlen zu vermelden. Verglichen mit 2018 fuhren im vergangenen Jahr mehr als eine Million Fahrgäste zusätzlich mit der Straßenbahn. Steffen Bockhahn überraschen diese Zahlen nicht. Der Senator für Soziales, Jugend, Gesundheit, Schule und Sport hatte sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Hansestadt ein vollständig kostenloses Ticket für alle Schüler einführt.
Seit August 2019 können die mehr als 18 000 Schüler, die ihren Wohnsitz in Rostock haben, gratis Bahnen, Busse und sogar Fähren nutzen. »Wir ermöglichen allen Schülerinnen und Schülern, mobil zu sein«, erklärt Senator Bockhahn die Entscheidung. »Wir wissen, dass es Kinder in Rostock gibt, die noch nie das Rathaus gesehen haben oder die im Sommer nicht an den Strand fahren können.«
Mira Wegner und ihr Bruder Fynn wohnen in der Rostocker Innenstadt. Sie können ihre Schule oder das Rathaus bequem zu Fuß erreichen, erzählen sie im Gespräch mit Klar. Trotzdem finden sie, das kostenlose Schülerticket sei eine »richtig gute Idee«. Fynn hat einen Freund, der nicht in der Altstadt wohnt. Der ist für den Schulweg auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen: »Sonst hat er immer dafür bezahlt, jetzt kann er praktisch gratis fahren.«
»Man spart schon echt viel Geld durch das kostenlose Schülerticket. Ich bin jetzt wirklich öfter unterwegs«, so Mira. Die 16-Jährige besucht nun häufiger Freunde und Mitschüler, die weiter entfernt wohnen. Auch Fynn nutzt das Ticket hauptsächlich in der Freizeit. »Eine gute Variante« sei dieses Ticket, wenn man mit Freunden unterwegs ist.
Mobil sein, selbstständig lernen
Die ersten Reaktionen fallen durchweg positiv aus, bestätigt auch Bockhahn. In vielen Schulen finde schon jetzt mehr Unterricht an anderen Orten statt. Besonders in Stadtteilen, in denen viele Schüler einfach keine 8 Euro extra von ihren Eltern bekommen können, sind nun mehr Ausflüge möglich, im Winter etwa in die Eishalle.
Die Stadt hat sich bewusst entschieden, die kostenlose Nutzung nicht an den Schulweg zu binden. Für Bockhahn, selbst Sohn einer Lehrerin, stehen die sozialen Lerneffekte im Vordergrund. Allein, dass sich Kinder und Jugendliche nun selbstständig durch die Stadt bewegen, sorge schon für wichtige Lebenserfahrung und mehr Verbindlichkeit.
Genauso wichtig seien ökologische Argumente. Kinder früh an den öffentlichen Nahverkehr zu gewöhnen und die Elterntaxis zu reduzieren, gehöre zu einer modernen Verkehrspolitik, so der Senator. Die Hansestadt zahlt dafür etwa 4,5 Millionen Euro im Jahr an den Verkehrsverbund Warnow. »Das ist eine freiwillige Zusatzleistung, wir bekommen dafür keinen Cent vom Land«, beschreibt Steffen Bockhahn die haushaltspolitische Dimension. In drei Jahren wird die Stadtregierung überprüfen, wie sich die Fahrgastzahlen entwickelt haben.
Ein linkes Pilotprojekt
Schon jetzt reicht vielen die aktuelle Lösung nicht. Mira Wegner hat Freunde, die außerhalb der Rostocker Stadtgrenzen wohnen: »Die können es nicht nutzen, weil das wirklich nur für die Stadt Rostock gilt.« Dass Dörfer, die schon fast zu Rostock gehören, nicht mit inbegriffen sind, findet die Schülerin schade. Gerade diejenigen, die noch dringender auf Bus und Bahn angewiesen sind, müssen das Ticket immer noch bezahlen.
Tatsächlich kam es zu Beschwerden aus benachbarten Landkreisen, bestätigt auch Steffen Bockhahn. Aber der Rostocker Senat müsse die Betroffenen leider an die Bürgermeister in ihren Gemeinden verweisen. Vielleicht sorgt deren Druck dafür, dass sich das Modell in Mecklenburg ausbreitet. Mira Wegner wünscht sich jedenfalls, dass der kostenlose Nahverkehr zukünftig auch andere Regionen erreicht: »Ich könnte mir gut vorstellen, dass das vor allem in größeren Städten sinnvoll wäre.«
Zeitgleich mit Rostock hat der rot-rot-grüne Senat im Berlin ein kostenloses Schülerticket eingeführt. In der Bundeshauptstadt betrifft das 360 000 Schülerinnen und Schüler. Auch in Berlin sind die Reaktionen durchweg positiv. Doch diese beiden Städte stellen bisher die Ausnahmen. Damit wird der Gratis-Verkehr beinahe zu einer Vorzeige-Strategie unter linken Regierungen. Viele andere Kommunen, selbst unter grünen Bürgermeistern, zögern noch oder beschränken den Geltungsbereich auf den Schulweg.
Malte Daniljuk/Olaf Krostitz

Mira und Fynn Wegner wohnen in der Rostocker Innenstadt. Sie nutzen das Schülerticket hauptsächlich in ihrer Freizeit.


Die Rostocker Straßenbahnen hatten 2019 deutlich mehr Fahrgäste – dank kostenlosem Schülerticket.

Für viele Rostocker Familien waren zusätzliche Ausgaben, um etwa an den Strand in Warnemünde zu fahren, nicht immer möglich.

An Wohnorten, die eine andere Verwaltung haben, gilt das kostenlose Schülerticket nicht.