In Deutschland lebt jedes fünfte Kind in Armut. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung ist dieses Problem die »unbearbeitete Großbaustelle« der Politik, auf der es seit Jahren keine grundlegenden Verbesserungen gibt. Kinderarmut ist in unserem reichen Land ein unfassbarer Skandal. Es ist vielleicht das schwerste Versäumnis der Kanzlerin, hier keine entscheidende Verbesserung erreicht zu haben. Nun droht Corona die Lage noch zu verschärfen.
Armut auf Höchststand
Bereits im vergangenen Jahr ist die Armut laut Statistischem Bundesamt auf einen neuen Höchststand seit der Wiedervereinigung gestiegen. Und das in Boomzeiten mit Wirtschaftswachstum und hoher Beschäftigung. Im Jahr 2019 waren 15,9 Prozent der Bevölkerung arm, 2018 waren es noch 15,5 Prozent.
Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass sich elf Millionen Menschen keine einzige Woche Urlaub im Jahr leisten können, wie eine Anfrage unserer Fraktion beim Statistischen Bundesamt ergab. Nicht einmal bei Freunden oder Verwandten. Darunter sind Millionen Kinder, die keine Ferien außerhalb von zu Hause verbringen. Diese Zahlen und Zustände sind lange bekannt, aber keine der Bundesregierungen unter Angela Merkel hat hier jemals wirkungsvoll etwas dagegen unternommen.
Jetzt wird es einen einmaligen Familienbonus von 300 Euro pro Kind geben. Das ist richtig, aber bei Weitem nicht ausreichend, weil es weder die Situation strukturell verbessert, noch wird dieser Bonus die herben Einkommensverluste ausgleichen, die viele Familien beispielsweise wegen eines zu niedrigen Kurzarbeitergeldes in der Corona-Krise hinnehmen müssen.
Millionen mit Niedriglöhnen
Die Bundesregierung will Hartz IV zum 1. Januar 2021 um klägliche 7 Euro anheben. Für Kinder im Alter von sechs bis dreizehn Jahren gibt es keinen Cent mehr. Die Bundesregierung bekämpft Kinderarmut nicht, sie vergrößert sie. Kinderarmut ist in aller Regel Erwachsenenarmut. Zehn Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – das ist jede(r) Vierte – kommen nicht einmal auf einen Stundenlohn von 12 Euro.
So ist Armut vorprogrammiert, bei Kindern, im Erwerbsleben und im Rentenalter. Daher brauchen wir noch in dieser Legislaturperiode einen Mindestlohn von 12 Euro. Hubertus Heil ist hier gefordert, die vorgeschlagenen Mini-Erhöhungen der Mindestlohnkommission sollten nicht das letzte Wort sein.
Mehr Geld für Rüstung als für Familien
Kinder und Familien, insbesondere Alleinerziehende, waren und sind die Verlierer der Corona-Krise. Zur Rettung von Unternehmen und zur Stabilisierung der Wirtschaft werden Unsummen mobilisiert. Allein das Konjunkturpaket umfasst 130 Milliarden Euro. Mit diesem Geld hätten wir das beste und sozial gerechteste Bildungssystem der Welt aufbauen können.
Aber was tut die Bundesregierung? Im Rahmen dieses Konjunkturpakets werden unter anderem 10 Milliarden Euro zusätzlich in die Rüstung fließen. Für Familien und Schulen hingegen stehen nur etwa 8 Milliarden Euro zur Verfügung.
Sozialabbau nach Corona?
Falls wir die Kosten der Krise nicht fair verteilen, falls Vermögende nicht einen fairen Anteil an der Finanzierung der Lasten tragen müssen, werden stärkere Verteilungskämpfe ausbrechen. Schon heute stellen Konservative die Finanzierbarkeit des Sozialstaats infrage.
Wir müssen verhindern, dass wieder mal die »einfachen« Leute die Rechnung einer Krise bezahlen müssen. Wir brauchen endlich ein Programm gegen Kinderarmut: höhere Löhne, mehr soziale Sicherheit und eine zielgenaue Familienpolitik mit einer armutsfesten Kindergrundsicherung.
Dietmar Bartsch ist Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag