Nicht systemrelevant! Mit diesem Stempel wurde die Kultur in der Pandemie versehen. Aber geht es um unsere Gesundheit, dann geht es auch um unseren Geist.
Endlich, wenn auch noch behutsam, ging es in den Sommerwochen wieder los: kleine Konzerte in Parks oder Gärten, Lesungen und Gespräche auf der grünen Wiese, Freilicht- oder Autokino, das »Poetenpack« im Heckentheater unter freiem Himmel, das »Traumschüff Flaschenpost« auf der Havel, an Bord spielend für das Publikum am Ufer. Immer noch alles auf Abstand, gefühlt aber doch zum Greifen nah.
Andere kleine Festivals zwischen Dresden, Bremen und Stuttgart funktionieren ähnlich. Es ist überfällig, sich gegenseitig wieder zu erleben: Die Künstler und Künstlerinnen ihr Publikum, und das wiederum hat Sehnsucht nach Schönheit und Poesie. Denn egal, ob Musik, Schauspiel, Zauberei oder Zirkus – Kultur ist eine soziale Begegnung. Sie lässt uns fühlen, lachen, weinen, sie wühlt auf, regt an, macht nachdenklich, und sie ist gut für die Seele.
Rund 1,1 Millionen Menschen arbeiten in der Kultur- und Kreativbranche, davon etwa ein Drittel frei, als Soloselbstständige, ohne komfortable Absicherung. In der Automobilindustrie sind übrigens ähnlich viele Beschäftigte. Dort wurde allerdings nicht alles über Nacht stillgelegt, und wenn, dann abgefedert mit Kurzarbeitergeld. Das ergibt Sinn. Kultur aber auch!
Es war und ist erstaunlich, wie kreativ die Beteiligten und Betroffenen mit der verordneten Kulturauszeit umgingen. Ganz neue Formate entstanden. Zum Beispiel »Kultur am Fenster«. Auf Hinterhöfen, in Gärten, vor Pflegeeinrichtungen wurde musiziert, gezaubert, Theater gespielt, gelesen. Das Publikum schaute und hörte entweder aus den Fenstern oder von den Balkonen zu. Museen luden zu digitalen Rundgängen ein. Theaterleute inszenierten Ministücke. Zu erleben im Netz, zu jeder Zeit und kostenlos.
Auf Dauer aber fehlt etwas: Den Künstlern und Künstlerinnen das Einkommen, und uns die direkte Begegnung. Kultur ist Leben. Schön und wichtig wie ein gutes Essen oder ein neues Auto.
Gisela Zimmer
Foto oben: Berliner Ensemble – Wegen der Coronapandemie werden einzelne Sitze für zukünftige Aufführungen ausgebaut.