Am 5. März 1871 wurde Rosa Luxemburg geboren. Sie ist eine Leitfigur von Sozialisten und Kommunisten.

Bei einem historischen Kompromiss kriegt nicht jeder, was er sich wünscht, aber doch jeder etwas. So war das auch 1871 bei Bismarcks Reichsgründung. Kaum einer hat dieses Gebilde reinen Herzens geliebt, die Herrschenden nicht und auch nicht die Beherrschten. Beide bekamen aber sechs Wochen später, was sie verdienten: der feudal-bourgeoise Obrigkeitsstaat seine konsequenteste Gegnerin und die Arbeiterklasse ihre leidenschaftlichste Führerin. Am 5. März erblickte Rosa Luxemburg in Russisch-Kongresspolen das Licht der gespaltenen Welt. Die Koinzidenz hat Symbolcharakter. Denn es hat diese kleine, schmächtig-mächtige, kluge, eloquente und kämpferische Frau auf seinerzeit völlig neuartige Weise die Geschicke des gefräßigen und durchaus nicht klugen Staatswesens mitbestimmt, dass es noch den Nachgeborenen Hass und Vergnügen bereitet, Genugtuung und Verachtung durch die Glieder jagt.

Ihr Leben war kein Siegeszug, ihre Erfolge oft nur halbe oder vorläufige, und sie hat, aufs Ganze gesehen, häufiger Unrecht als Recht gekriegt. Dennoch ist sie zu einer Leitfigur von Sozialisten und Kommunisten und zu einem beeindruckenden Beispiel geworden, dessen zu gedenken es heute Anlass gibt.

Sie hat unbeirrt an marxistischen Grunderkenntnissen festgehalten, die sie sich hart erarbeitet hatte, und zwar ganz so, wie sie es stets forderte: kritisch, produktiv, fortschrittlich. Es ist Missbrauch, die belebenden, poetischen, menschenfreundlichen, kampfesmutigen Sentenzen aus ihrem Werk zu klauben und gegen dessen Essenz zu richten: Internationalismus, Solidarität, Parteiorganisation, Klassenkampf … Das Ganze ist das Wahre; längst hat sich erwiesen, dass mit Luxemburg kein Lenin zu desavouieren geht, ebenso wenig wie mit Lenin etwa Rosa Luxemburg.

Hier soll sie nicht zur Trösterin für Gefühlslinke verkleinert, kann aber auch nicht in allen Facetten als Revolutionärin, Politikerin, Ökonomin, Philosophin, Publizistin, als lebensbejahende Liebhaberin, aufmerksame Freundin, treue Genossin angemessen gewürdigt werden.

Wir wollen Sie zu diesem Jubiläum ehren. Als Internationalistin, die aus Erfahrung und Verstand jegliche Formen von Nationalismus, Chauvinismus, Kolonialismus und alles an Vorläufern und Quellen des Faschismus unnachgiebig bekämpfte. Das schließt ein: keine Hetze gegen andere Länder, keine Denunziation von Bewegungen und Kämpfen gegen Imperialismus und für Sozialismus in anderen Ländern; stets solidarisch-konstruktive Kritik unter Genossen, niemals antikommunistisch-antibolschewistische Invektiven.

Als Ökonomin, die die marxistische Kritik der politischen Ökonomie um die Analyse der Formen ursprünglicher Expropriation präzisiert und erweitert – und uns damit die neokolonialen Ausbeutungsmechanismen im sogenannten Globalen Süden enthüllt.

Als Parteitheoretikerin und Parteipolitikerin, deren Erbe wesentlich ist:

Man spaltet eine bestehende linke Partei nicht leichtfertig und ohne Not, nur weil mal einer kriegerische Außenpolitik vorschlägt, sondern man kämpft wie eine revolutionäre Löwin um Einheit und Geschlossenheit in Grundsatzfragen wie der, ob denn nicht klitzekleine deutsche Entwicklungshelfer-Interventionen in der Welt möglich oder doch die Widerstände gegen humanistisch bemäntelte Kriegstreibereien und die Wohlfahrt der Vaterlandsbourgeoisie unnachsichtig sein sollten. Denn die Parteieinheit ist unglaublich wertvoll und keine Petitesse. Aber sie ist auch kein Dogma. Sie erkannte den Punkt, an dem zwingend wurde, eine nurmehr exlinke Partei zu verlassen, selbst aus minoritärer Position heraus, und zugleich an der parteipolitischen Organisationsform festzuhalten: Gerade in der KPD-Gründung, einem ebenso schwierigen wie großartigen, keinesfalls leichtfertigen Akt, zeigt sie sich als genuin materialistisch-dialektische Parteitheoretikerin. Und dass sie dann ins Parlament wollte, von dem sie die Heraufführung des Sozialismus nicht erwartete, ist Beleg ihrer revolutionären Weitsicht, auch wenn sie sich, Beleg wiederum ihrer Parteidisziplin, der Abstimmung über diesen Punkt beugte.

“Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie hasst und verabscheut den Menschenmord.”

Rosa Luxemburg

Sie sah es zwei Monate vorher kommen, „dass ich … bald ins Jenseits befördert werde – vielleicht durch eine Kugel der Gegenrevolution“. Und es kam so am 15. Januar 1919. „Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie hasst und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft.“ Noskes Feme dachte anders als Rosa Luxemburg.

Als man in der Partei, die mit wenigen Fäden noch verbunden war mit der KPD-Gründung, einen Besen zur Hand nahm, um die vermeintlichen Gespenster zu vertreiben, da waren nicht viele unbescholtne Gewährsmänner vorhanden. So berief man sich also auf eine Gewährsfrau. Von Rosa Luxemburg, so schien es, war alles zu haben, was eine linke Partei sich nur wünschen konnte. Freilich ist sie ein unbestechlicher Indikator für jegliche wirkliche sozialistische Bewegung, kein Kuscheltier für enttäuschte, kampfesmüde, milde gewordene Linke, die dem bequemen Slogan folgen: Wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz, wer es im Alter noch ist, hat kein Hirn. Rosa hatte stets Herz und Hirn, und sie war und blieb links …

Sie war für den Umsturz und gesellschaftliche Veränderungen begeistert, aber sie war keine Utopistin. Der Internationalisierung des Kapitals und seiner vermeintlich damit verbundenen Demokratisierung hielt sie internationale Solidarität und internationalen Kampf der Arbeiterklasse entgegen und nicht den Vorschlag zur Konvergenz.

Mögen die viel diskutierten theoretischen Schlussfolgerungen aus ihren Reden, Artikeln, Studien nun im Einzelfalle standhalten oder nicht: Sie hat bewiesen, dass der Kapitalismus sich selbst auffrisst und sich eben gerade nicht endlos regeneriert. Luxemburg hat die Selbstberuhigung aller Lobredner eines wie auch immer gemäßigten, zivilisierten, reformierten Kapitalismus an der Wurzel zerstört – wir müssen uns dessen nur entsinnen.

Matthias Oehme

Rosa Luxemburg im Jahr 1907 bei der Arbeit
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