Nach 20 Jahren zieht die Bundeswehr vom Hindukusch ab. Das ist gut so. Der Abzug offenbart jedoch das Desaster, das der Krieg angerichtet hat.

Mit dem Abzug geht der teuerste und verlustreichste Auslandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr zu Ende. Er bestand aus der offensiven Kampfoperation „Enduring Freedom“ und der zunächst als Stabilisierungsmission verkauften ISAF-Mission, die immer stärker und offensichtlicher Aufstandsbekämpfung betrieb. Seit 2015 war die Bundeswehr im Rahmen der robusten Resolut Support Mission zur Ausbildung dortiger Kräfte in Afghanistan.

Das 2001 in Afghanistan einmarschierende westliche Militärbündnis unter Führung der USA erklärte, man wolle mit dem Sturz der Taliban das afghanische Volk befreien, insbesondere die Frauen, und den internationalen Terrorismus bekämpfen. Außerdem sollte die Regierung von Präsident Hamid Karsai, die bei der Afghanistankonferenz auf dem Petersberg in Bonn im Dezember 2001 eingesetzt wurde, abgesichert werden.

Keines dieser Ziele ist erreicht, im Gegenteil. Die Taliban sind so stark wie lange nicht mehr, Terror und Gegenterror sind allgegenwärtig. Die soziale und wirtschaftliche Situation im Land ist katastrophal. Die vom westlichen Militärbündnis gestützte ehemalige Regierung Karsai hat ein korruptes System zur Verteilung knapper Ressourcen aufgebaut. Der Drogenhandel blüht. Doch ging es der internationalen Militärallianz überhaupt um Demokratie, Fortschritt und Frauenrechte?

Den USA ging es um geostrategischen Einfluss im ölreichen Nahen und Mittleren Osten. Für die deutschen Bundesregierungen bot sich die Gelegenheit, in einer Region von zentraler geopolitischer Bedeutung militärisch präsent zu sein. Zudem wollte man dem seit Anfang der 1990er Jahre angestrebten Ziel näherkommen, die Bundeswehr zu einer weltweit operierenden militärischen Kraft auszubauen.

Im Jahr 1994 klagte die SPD vor dem Bundesverfassungsgericht noch gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Sieben Jahre später machte die rot-grüne Regierung den Weg frei für die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg. Es ging unter dem Vorwand der „Verantwortung“ darum, auf der Weltbühne mitzumischen. Der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer sagte: „Das Maß der Mitbestimmung richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens.“

Für das Verteidigungsministerium war Afghanistan ein Testfeld. Hier lernte die Bundeswehr an der Seite der US-amerikanischen Streitkräfte Krieg, man wuchs in neue Aufgaben hinein. Die Bundeswehr beteiligte sich am aktiven Gefecht, an der systematischen Ermordung führender Kommandanten des Gegners und probte die Steuerung militärischer Drohnen. Das Massaker von Kundus, bei dem am 4. September 2009 über 100 Zivilisten auf Befehl des Bundeswehrobersten Georg Klein ermordet wurden, rückte in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit, was offiziell nicht wahr sein sollte: Deutschland war im Krieg.

Im Jahr 1981, nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, schrieb der US-amerikanische Sozialist und Aktivist Jonathan Neale: „Niemand kann ein anderes Volk befreien, weder durch Erziehung noch durch Staatsmacht noch durch Putsche und amtliche Dekrete.“ Die Militäreinsätze schwächten den Widerstand aus der afghanischen Gesellschaftlich gegen die Herrschaft der Taliban, eine Entwicklung, die sich ähnlich in Irak und Libyen beobachten lässt. Gestärkt wurden die Taliban und andere rückschrittliche Kräfte im Land. Die Flüchtlingskatastrophe im Mittleren und Nahen Osten ist auch das Resultat westlicher Militär-einsätze, im Falle von Syrien auch von russischer Militärintervention.

Das ist heute so richtig wie vor vierzig Jahren. Die Lehre aus der afghanischen Katastrophe ist dieselbe wie die aus der syrischen, libyschen und irakischen Katastrophe: Demokratie und gesellschaftlicher Fortschritt können nicht mit Kriegen von außen aufgezwungen werden.

Die Konsequenz aus dem Afghanistandesaster muss sein, die ausländischen Truppen, Spezialkräfte und Geheimdienste dauerhaft zurückzuziehen. Die Bundeswehr ist aus allen Auslandseinsätzen abzuziehen, sie darf sich keinen weiteren Kriegen anschließen und keine neuen Kriege anfangen. Das Auswärtige Amt muss seine Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan korrigieren. Sämtliche Abschiebeflüge müssen sofort gestoppt werden.

Christine Buchholz, Mitglied im Verteidigungsausschuss und des von 2009 bis 2011 eingesetzten Fundus-Untersuchungsausschusses

Der Krieg in Zahlen

170 000

Zivilpersonen direkt durch den Krieg getötet und

12 Millionen

Menschen vertrieben im Zeitraum 2001 bis 2013 laut
Ärzteorganisation IPPNW

3600

getötete Soldatinnen und Soldaten der Militärallianz

59

getötete deutsche Soldaten

> 150 000

eingesetzte Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr insgesamt

12,2 Milliarden

Euro kosteten die deutschen Einsätze.

426 Millionen Euro

Ausgaben für humanitäre Hilfe seit 2001

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