Fabio De Masi vertritt die Fraktion DIE LINKE im Untersuchungsausschuss zur Pleite des Finanzdienstleisters Wirecard. Der Abgeordnete spricht über Spionage und Finanzbetrug.

Fabio De Masi, es gibt Hinweise, dass österreichische Geheimagenten Sie wegen Ihrer Rolle bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals bespitzeln wollten. Was ist da vorgefallen?

Ehemalige Topagenten des österreichischen Verfassungsschutzes, die für den untergetauchten Wirecard-Manager Jan Marsalek arbeiteten und ihm bei der Flucht geholfen haben, sollen meinen Lebenslauf an den früheren deutschen Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer geschickt haben. Der einzig vernünftige Grund dafür wäre, dass sie sich von Schmidbauer Informationen von deutschen Geheimdiensten erhofften, die sie nicht offiziell bekommen konnten. Die Bundesregierung weigert sich aber bisher, bei Österreichs Regierung nachzufragen, was deren Agenten bei uns treiben. Dabei geht es um illegale Spionage!

Im Umfeld von Wirecard tummeln sich viele Geheimdienstler, unter anderem die ehemaligen Koordinatoren für Geheimdienste im Bundeskanzleramt, Bernd Schmidbauer und Klaus-Dieter Fritsche. Was macht die Geschäftstätigkeit des Unternehmens so interessant für Geheimdienste?

Es ist natürlich sehr interessant für Geheimdienste, unsere Zahlungsströme zu überwachen, wenn immer mehr Menschen im Internet bezahlen. Wirecard wickelte Zahlungen für Online-Glücksspiel und Pornografie ab. Beides sind Bereiche, wo viel Geld anonym den Besitzer wechselt. Dies ist ideal, um kriminelles Geld und auch Terrorgelder zu waschen und das schmutzige Geld wieder in den legalen Geldkreislauf zu bekommen. Außerdem können Unternehmen wie Wirecard genutzt werden, um Zahlungen im Ausland abzuwickeln, etwa wenn ein Geheimdienst bestimmte Gruppen im Ausland mit Waffen beliefert.

Auf Drängen von Karl-Theodor zu Guttenberg soll Bundeskanzlerin Angela Merkel sich in China dafür eingesetzt haben, dass das Unternehmen als Zahlungsdienstleister in der Volksrepublik einsteigen kann. Welche Bedeutung hat dieser Vorgang?

Die Kanzlerin hat beim mächtigsten Mann Chinas für Wirecard lobbyiert, obwohl es bereits heftige Vorwürfe der Presse wie der Financial Times gab, dass das Unternehmen kriminell sein könnte. Auch ich hatte bereits frühzeitig darauf hingewiesen. Die Kanzlerin hatte sogar zuvor den Vorstandsvorsitzenden des damaligen Börsenchampions Wirecard, Markus Braun, wegen der Vorwürfe nicht treffen wollen. Sie hat trotzdem für die kriminelle Bude lobbyiert. Entscheidend war aber nicht Guttenberg. Die Bundesregierung hat sich bereits seit 2018 in China für Wirecard engagiert.

Welchen Eindruck hatten Sie vom Auftritt des ehemaligen Verteidigungsministers vor dem Untersuchungsausschuss?

Er war unglaubwürdig. So habe ich ihn etwa gefragt, ob er sich mit dem Ex-Bild-Chef Kai Diekmann über Wirecard ausgetauscht habe und wofür er Geld von Wirecard bekommen habe. An den Austausch mit Diekmann wollte er sich nicht erinnern, obwohl später ganz viele E-Mails dazu auftauchten. Sein Geld wollte er nicht für Lobbying bekommen haben, sondern für Beratung beim Chinageschäft. Die Beratung bestand aber aus einer Power-Point-Präsentation, die jeder Praktikant hätte machen können. Dafür kassiert man nicht Hunderttausende Euros.

Die betrügerischen Aktivitäten von Wirecard kosten die Steuerzahler in Deutschland viel Geld. Wie hoch ist der Schaden und warum ist das erst so spät aufgeflogen?

Die Steuerzahler kostet es erst Mal nicht so sehr – nur wenn aufgrund der überhöhten Gewinne der Steuerbescheid von Wirecard korrigiert wird. Aber Rentner und Fließbandarbeiter haben dem Unternehmen vertraut, weil die Finanzaufsicht die Kritiker von Wire-card wie Kriminelle bekämpfte. Viele haben ihre kompletten Lebensersparnisse verloren, weil sie Wire-card-Aktien gekauft hatten. Außerdem vertrauen Investoren jetzt nicht mehr den Bilanzen großer deutscher Unternehmen, weil niemand den Betrug aufgedeckt hat und sich über 20 Milliarden Euro Börsenwert über Nacht in Konfetti aufgelöst haben.

Was lässt sich aus dem Vorgang für die Regulierung von Finanzdienstleistern lernen?

Wir dürfen die Kontrolle von Bilanzen nicht allein an große private Wirtschaftsprüfer wie EY geben, die selbst von den Unternehmen bezahlt werden und mit Berateraufträgen für dieselben Unternehmen Kasse machen. Es braucht eine echte staatliche Bilanzpolizei. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, die Alkoholkontrolle den ADAC machen zu lassen.

Das Gespräch führte Malte Daniljuk.

Chronik

• April 2015: Die Financial Times weist unter dem Titel „House of Wirecard“ auf Ungereimtheiten in den Bilanzen hin.

• Februar 2016: Die Firma Zatarra Re-search veröffentlicht eine Analyse, in der sie Wirecard Betrug vorwirft.

• Mai 2016: Die Bafin lässt wegen möglicher Marktmanipulationen gegen die Kritiker ermitteln.

• Sommer 2017: Die Bafin untersucht das Kreditgeschäft der Wirecard Bank bei einer Sonderprüfung.

• September 2018: Die Wirecard-Aktie steigt auf fast 200 Euro, der Börsenwert auf knapp 25 Milliarden Euro.

• Januar 2019: Die Financial Times legt nach und berichtet über mögliche Geldwäsche und gefälschte Konten in Asien.

• Februar 2019: Die Bafin beginnt Untersuchungen gegen Kritiker von Wirecard wegen Verdachts auf Marktmanipulation.

• April 2019: Die Bafin zeigt Journalisten der Financial Times an. Gleichzeitig muss Wirecard ein Bußgeld wegen verspäteter Veröffentlichung der Geschäftsberichte zahlen.

• Sommer 2019: Vertreter der Bundesregierung lobbyieren in China für Wirecard. Die Bafin beginnt eine Sonderprüfung und stellt die Firma unter Geldwäscheintensiv-aufsicht.

• April 2020: Wirtschaftsprüfer von KPMG stellen fest, dass angebliche Einzahlungen in Höhe von 1Milliarde Euro nicht ausreichend nachgewiesen wurden.

• Juni 2020: Die Bafin zeigt den Wirecard-Vorstand wegen des Verdachts auf Marktmanipulation an. Angeblich seien gegenüber der KPMG Falschangaben gemacht worden. Razzia in der Wirecard-Zentrale. Wirtschaftsprüfer von EY stellen fest, dass Belege über 1,9 Milliarden Euro fehlen.

• Juli 2020: Die Staatsanwaltschaft München stellt Haftbefehle gegen die Führung des Unternehmens aus. Nach Vorstandsmitglied Jan Marsalek wird international gefahndet.

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