In Mecklenburg-Vorpommern herrschen miese Arbeitsbedingungen bei der Betreuung von Alten und Kranken. Immer mehr Beschäftigte verlassen den Beruf.
Heute klatscht keiner mehr, sagt Ilona Carsten*. „Natürlich wäre mehr Lohn als Anerkennung auch schön gewesen.“ Die Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeitet auf der Intensivstation eines Krankenhauses in privater Trägerschaft in Mecklenburg. Wie in anderen Regionen steckt die Pflege an der Ostseeküste seit Jahren in der Krise. Mangel an Personal führt zu Überlastung, die Löhne sind niedrig, es fehlt an gesellschaftlicher Anerkennung. Da macht der Nordosten keine Ausnahme.
„Hier haben wir extremen Personalmangel“, bestätigt Steffen Kühhirt. Er leitet den Landesfachbereich für Gesundheit und Soziales bei ver.di im Nordosten. Erschwerend komme hinzu, dass es lange Zeit politisches Ziel war, Mecklenburg-Vorpommern als Niedriglohnland zu erhalten. In der ambulanten Pflege, der Altenpflege und zum Teil auch bei privaten Klinikkonzernen fehle nach wie vor die Tarifbindung. Laut Kühhirt stehen in den nächsten Jahren viele Beschäftigte in der Pflege vor der Altersrente. Das bedeute in der ohnehin sehr angespannten Personalsituation einen zusätzlichen Bedarf an Kräften.
Die schwierige Situation in der Pflege war bereits vor der Corona-Krise ein brisantes Thema, aber in der öffentlichen Debatte deutlich unterrepräsentiert. Nun hat die Pandemie die Missstände und politischen Versäumnisse für alle sichtbar schonungslos offengelegt. Damit sind auch die Beschäftigten endlich sichtbar geworden. Über den Applaus für die „Helden des Alltags“ konnte sich Illona Carsten nur eingeschränkt freuen. Damals habe sie gedacht: „Wow, endlich sieht es jemand. Endlich wird es wahrgenommen. Aber Leute, wir haben auch schon vor Corona hart gearbeitet.“
Die 22-Jährige wünscht sich vor allem mehr Personal auf ihrer Station. Die Covid-19-Patienten zu betreuen, nehme viel Zeit in Anspruch. Gleichzeitig müssten aber auch die anderen Intesivpatienten betreut werden. „Als Krankenschwester hat man natürlich auch seinen Anspruch, wie man Patienten versorgen möchte. Und wenn das so nicht möglich ist, ist man unzufrieden.“
Vor allem, wenn in den Schichten nicht mit voller Stärke gearbeitet werden könne, weil Kolleginnen und Kollegen selbst erkrankt sind. Dies bedeute eine hohe Belastung, erzählt Carsten. „Dann merkt man auch, dass wir Mitarbeiter ausgelaugt sind. Wir versuchen natürlich trotzdem, uns zu unterstützen und zu helfen. Aber manchmal ist man einfach nur froh, wenn die Schicht zu Ende ist.“
Wie Ilona Carsten und ihren Kolleginnen geht es derzeit einem großen Teil der Beschäftigten auf Intensivstationen, in den Notaufnahmen und im Rettungsdienst. Das bestätigen Ergebnisse einer Onlinebefragung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensiv-medizin und Notfallmedizin. Mehr als 70 Prozent der in Gesundheitsfachberufen Tätigen fühlen sich während der dritten Corona-Welle überlastet. Rund ein Drittel der Befragten gab an, den Beruf in den nächsten zwölf Monaten verlassen zu wollen, drei Viertel davon aufgrund der Belastungen durch die Corona-Pandemie.
Ilona Carsten will trotz der Belastungen in ihrem Beruf weiterarbeiten, auf jeden Fall. Ihr gefällt es, mit den Patienten zu arbeiten, die Verantwortung und die Herausforderung zu spüren. Aber sie ist noch jung, ledig und hat anders als viele Kolleginnen und Kollegen keinen weiten Arbeitsweg. Sie kennt aber Kollegen, die das Krankenhaus wechseln, innerhalb der Gesundheitsbranche etwas anderes suchen oder sich beruflich komplett umorientieren.
„Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Abwanderung erlebt“, bestätigt auch Gewerkschafter Kühhirt. Innerhalb von Mecklenburg-Vorpommern zieht es die Beschäftigten in die größeren Städte. Andere wechseln gleich nach der Ausbildung in andere Bundesländer, wo es mehr Geld zu verdienen gebe. Im Herbst stehen in Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen an. „Das Thema Pflege wird für die neu gewählte Landesregierung eine riesige, wenn nicht die Herausforderung“, so Kühhirt.
Markus Drescher
* Wir haben den Namen geändert.
Bessere Pflege ist finanzierbar
Eine Petition zum Thema Pflege findet immer mehr Unterstützer. Nach Angaben des Bundestags hatten Anfang März bereits 200 000 Menschen ein Gesuch unterzeichnet, das bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege fordert. Weitere 120 000 zeichneten die Petition 117906 offline mit. Es ist „die bis dato erfolgreichste Online-Petition in der Geschichte des Petitionsausschusses“, heißt es auf der Website des Bundestags. In der Petition „Gesundheitsreform für eine bessere Pflege zum Schutz der Pflegebedürftigen“ heißt es unter anderem: „Bessere Pflege ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe finanzierbar.“
Gewinne dürften nicht aus dem Gesundheitsbereich abgezogen werden, sondern müssten zurück ins System fließen. Natürlich kostet gute Pflege auch mehr Geld, beschreibt Pia Zimmermann das Problem. Mithilfe privater Versicherungen entziehen sich jedoch gerade die Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener, so die Sprecherin für Pflegepolitik der Linksfraktion im Bundestag. „Deshalb hat die Petition recht: Pflege ist nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe finanzierbar“, so Zimmermann. „Unser Konzept ist: Sie müssen an der Finanzierung beteiligt werden. Einheitliche Beitragssätze auf alle Einkommen, auch Kapital‑, Zins‑ und Mieteinnahmen: So ist gute Pflege auch gut finanzierbar.“