Ein Konflikt mit der Volksrepublik China hätte ernste wirtschaftliche Folgen für Deutschland und die EU. Über Jahrzehnte gewachsene Beziehungen stehen auf dem Spiel.

Die Beziehungen zwischen den EU-Staaten und der Volksrepublik China verschlechtern sich. Brüssel und Berlin schwenken seit Antritt der neuen US-Regierung auf deren scharfe antichinesische Rhetorik ein. Eine der ersten Amtshandlungen von Präsident Biden war es, Kriegsschiffe in auch von China beanspruchte Gewässer zu schicken. Der Kampf der USA, um den Aufstieg Chinas einzugrenzen, entwickelt sich zu einer zentralen Achse der internationalen Beziehungen.

Er begann vor zehn Jahren unter Präsident Barack Obama mit seiner „Hinwendung nach Asien“. Unter Trumps Präsidentschaft wurde viel über den Handelskrieg gegen China geredet, im Hintergrund forcierten die USA ihre militärische Aufrüstung und die Einkreisung nicht nur Russlands, sondern auch Chinas. „China auszustechen“, so der designierte CIA-Chef William Burns, „wird der Schlüssel zu unserer nationalen Sicherheit in den kommenden Jahrzehnten sein.“

Zu den Mitteln gehören US-Flugzeugträger im Südchinesischen Meer, Handelssanktionen, Propagandakampagnen in Sachen Hongkong, Tibet oder Xinjiang sowie natürlich Druck auf die Verbündeten in Europa.

In der Welt des 21. Jahrhunderts gibt es drei wirtschaftliche und politische Zentren: die USA, China und die Europäische Union. Die Gewichte im Weltwirtschaftssystem haben sich allerdings längst nach Asien verschoben. Der Anteil Chinas am Bruttoinlandsprodukt der Welt lag 2019 kaufkraftbereinigt bei 19,3 Prozent, der USA bei 15,1 Prozent und der EU-27 bei 13,8 Prozent. Standen die sogenannten entwickelten Länder wie Westeuropa, die USA und Japan sowie andere in den 1980er Jahren gemeinsam für 63 Prozent globalen Wirtschaftswachstums, waren es in den 2010er Jahren nur noch 23 Prozent.

Heute kommt mehr als die Hälfte des Wachstums aus den aufstrebenden asiatischen Wirtschaften, darunter stellt China über ein Drittel. Die Grundlage für diesen Platz im 21. Jahrhunderts legte die Volksrepublik mit einem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. Seit Anfang der 1980er Jahre wurden 800 Millionen Menschen in China aus der Armut befreit. Bis 2010 hatte China seine Wirtschaftsleistung verdoppelt. Großbritannien benötigte 60 Jahre für diesen Schritt, die USA brauchten 40 Jahre, China lediglich 12 Jahre.

Deutschland sowie die EU sind von dem Versuch, die Volksrepublik China wirtschaftlich und politisch einzugrenzen, unmittelbar gefährdet. Beide Regionen sind wichtige Partner im Außenhandel. China ist zum fünften Mal in Folge der bedeutendste Außenhandelspartner Deutschlands, Deutschland umgekehrt der wichtigste Partner Chinas in Europa.

Am vorletzten Tag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, am 30. Dezember 2020, einigten sich China und die EU auf den Text für ein „Umfassendes Abkommen über Investitionen“. Sieben Jahre lang war verhandelt worden. Am Ende wollte Bundeskanzlerin Merkel dieses Abkommen unter Dach und Fach bringen und ihren Nachfolgern hinterlassen. China wollte das Verhandlungsprojekt erfolgreich abschließen, bevor US-Präsident Biden sein Amt antrat.
Der Vertrag gibt EU-Firmen in China und chinesischen Firmen in der EU Rechtssicherheit bei Investitionen. In den USA wurde dieses Abkommen gleich nach der Unterzeichnung scharf verurteilt, es sei „Verrat an der liberalen Weltordnung“, und es wurde gefordert, den Ratifizierungsprozess im EU-Parlament zu verhindern.

Dabei wird behauptet, das Abkommen diene vor allem chinesischen Interessen. Völlig klar ist hingegen, dass die deutsche Wirtschaft ein dringendes Interesse an diesem Abkommen hat. Die USA wollen verhindern, dass die EU und Deutschland eine eigenständige Rolle spielen. Tatsächlich soll ein engeres Zusammenrücken der wirtschaftlichen und politischen Zentren auf dem eurasischen Kontinent, der EU, Chinas und Russlands, verhindert werden.

Die EU ließ sich trotzdem dazu verleiten, im März 2021 erstmals seit über dreißig Jahren Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die als „Verantwortliche für die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang“ gelten. Prompte Antwort der chinesischen Regierung waren Maßnahmen gegen EU-Politiker und EU-Institutionen. Deren Agieren liefe darauf hinaus, „Chinas Souveränität und Interessen schwer zu schaden und bösartig Lügen und Desinformationen zu streuen“.

Den Genannten und ihren Familien wurde verboten, nach China zu reisen, sie dürfen keine Geschäfte mit chinesischen Firmen machen. Das bleibt nicht folgenlos. US-Außenminister Pompeo und andere wurden bereits mit Sanktionen belegt, was nach US-amerikanischen Kommentatoren durchaus Wirkungen zeitigt, da es kaum ein großes US-Unternehmen gibt, das keine Geschäfte mit China macht.

Auf dem diplomatischen Feld wird jede Maßnahme mit einer spiegelverkehrten Aktion beantwortet. Der Spiegel warnte: „Die Sanktionen gegen China können zum Bumerang werden.“ Da der Westen anfängt und China antwortet, wäre es an ihm, das Spiel zu beenden. Im Mai 2021 teilte die EU-Kommission allerdings mit, nun auch die Ratifizierung des Investitionsabkommens auf Eis zu legen.

Die Bundesregierung verfolgt eine Doppelstrategie. Dies werde – so Hans Modrow – nicht funktionieren. Entweder verhält sich die Politik kooperativ wie die Wirtschaft, oder die Konfrontation werde auf die Wirtschaft übergreifen. Dabei gilt: „China braucht Deutschland nicht unbedingt, aber die Bundesrepublik braucht China auf jeden Fall.“

Erhard Crome war bis 2016 Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ist Geschäftsführender Direktor des WeltTrends – Institut für Internationale Politik.

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