Die Leistung aus einem Arbeitsleben muss sich in Deutschland wieder lohnen. Millionen Menschen droht Altersarmut trotz Vollzeitjob.
Leistung lohnt sich nicht in Deutschland – zumindest nicht für Millionen Menschen, die jeden Tag hart arbeiten. Ich habe im Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) nachgefragt, wie viele Beschäftigte mit einem Vollzeitjob aktuell zu wenig verdienen, um im Alter eine Rente oberhalb von Hartz IV zu erhalten. Die Antwort: 2,9 Millionen! Von allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist das jeder Siebte. Das ist das Gegenteil von Leistungsgerechtigkeit. Insbesondere diejenigen, die in der Corona-Krise beklatscht wurden, sind häufig betroffen. Zum Beispiel sind die Löhne von 41 455 Altenpflegern (jeder Fünfte) und 129 820 Verkäuferinnen (jede Vierte) trotz 45 Jahren Vollzeitarbeit zu niedrig, um im Alter nicht zum Sozialamt gehen zu müssen.
Aber es betrifft nicht nur den Niedriglohnbereich. Nach der aktuellen Rentenformel müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer monatlich 2.650 Euro brutto verdienen – und zwar durchgehend 45 Jahre lang –, um auf eine Rente von 1.200 Euro brutto zu kommen. Nach Abzug von Sozialbeiträgen wären das real weniger als 1.100 Euro. Das bedeutet, ihre Renten liegen schon in einem Bereich, der als Risiko für Armut gilt.
Wie aus der Antwort des Arbeitsministeriums auf meine Anfrage hervorgeht, liegen derzeit 6,3 von 21,5 Millionen Vollzeitarbeitnehmer unter diesem Schwellenwert. Auf unser Land rollt in den nächsten Jahren eine Lawine aus Altersarmut und kleinen Renten zu, obwohl viele ein komplettes Arbeitsleben vorweisen können. Hinzu kommen noch diejenigen, für die 45 Jahre Vollzeitarbeit nicht zu schaffen sind, und die Millionen mit prekären Jobs. Das ist nicht nur skandalös ungerecht, sondern auch teuer für die Allgemeinheit. Lohndumping und Altersarmut führen dazu, dass die Steuerzahler jährlich etwa 17 Milliarden Euro für Aufstockerleistungen und Grundsicherung im Alter finanzieren müssen.
Wir haben ein gewaltiges Lohnproblem in Deutschland. Es ist ein Skandal, dass zum Beispiel für Verkäuferinnen und Verkäufer sowie Pflegekräfte nicht einmal in der Corona-Krise die Löhne deutlich angehoben wurden. Während die Eigentümer der Supermarktketten Milliarden scheffelten, sind die Löhne der Verkäuferinnen und Verkäufer teilweise sogar gesunken. Eine Unverschämtheit! Alle politischen Lager klagen über zu wenig Personal im Pflegebereich und fehlende Intensivbetten, aber die Löhne wurden nur minimal angehoben.
Leistung muss sich für die wahren Leistungsträger in diesem Land mehr lohnen! Es darf keine Löhne geben, die Hartz IV im Alter bedeuten. Daher muss der Mindestlohn in Richtung 13 Euro steigen. Das ist aber nur ein Punkt. Wir brauchen insgesamt höhere Löhne! Warum gehören zum Beispiel Pflegekräfte und Erzieherinnen nicht zu den Gutverdienern des Landes? Das wäre gerecht. Der hausgemachte Personalmangel aufgrund mieser Löhne könnte beendet werden.
Höhere Löhne sind dringend notwendig, reichen aber allein nicht aus, um Bürgerinnen und Bürger im Alter abzusichern. Wenn man 45 Jahre lang durchgehend 2.650 Euro brutto verdient und dann weniger als 1.100 Euro Nettorente überwiesen bekommt, stimmt etwas im System und in der Rentenformel nicht. Wir brauchen ein deutlich höheres Rentenniveau!
Der Lohn muss mehr wert sein, die Rente muss einen höheren Anteil ersetzen. Zu Zeiten Helmut Kohls lag das Rentenniveau bei 53 Prozent. Es ist das Mindeste, dort wieder hinzukommen. Nicht finanzierbar?
Beenden wir Lohndumping und Altersarmut, werden 17 Milliarden Euro jedes Jahr frei. In Österreich erhalten Rentnerinnen und Rentner durchschnittlich 800 Euro mehr als in Deutschland. In den Niederlanden gibt es aufgrund der dortigen Mindestsicherung gar keine Rente unter 1.218 Euro. Deutschland hat die stärkste Wirtschaft, aber ist bei den Renten ein Abstiegskandidat in Europa. Unsere Nachbarn machen es vor, wie die Lebensleistung jahrzehntelanger Arbeit besser anerkannt wird!
Dietmar Bartsch ist Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.
