Wir werden die Folgen der Coronapandemie wie auch der Klimakatastrophe nur bewältigen, wenn wir die soziale Spaltung überwinden.
Die Pandemie hat dramatisch gezeigt, wie wichtig ein funktionierender Sozialstaat gewesen wäre. Doch dieser ist durch jahrelange Privatisierungen und Sparprogramme derart heruntergewirtschaftet, dass es in der Krise an allen Ecken und Enden hapert. Zunächst gab es zu wenig Masken, weil die Bundesregierung und ihre Vorgänger schlichtweg einen viel zu geringen Vorrat für den Krisenfall gelagert haben. Und nachdem die Gefahr durch das Virus fahrlässig unterschätzt worden war, trat das Manko von personell ausgedünnten Gesundheitsämtern mit mangelhafter digitaler Ausstattung offen zutage. So rollte der Tsunami auf die Krankenhäuser zu, die bereits vor der Pandemie mit Pflegekräften unterbesetzt und durch unzumutbare Arbeitsbedingungen gekennzeichnet waren.
Bereits im Wahlkampf 2017 hatte der Pfleger Alexander Jorde in einer Livesendung Angela Merkel diesbezüglich die Leviten gelesen. Passiert ist danach fast nichts. Die Folge: Laut einer aktuellen Befragung will ein Drittel des Pflegepersonals in den nächsten zwölf Monaten den Job verlassen – drei Viertel davon aufgrund der Belastungen wegen Corona. So darf es nicht kommen! Wir brauchen sofort allgemeinverbindliche Tarifverträge, höhere Löhne und deutlich mehr Personal in den Kliniken. Sonst werden Kassenpatienten dem Pflegenotstand ausgesetzt, während sich die Reichen in Privatkliniken versorgen lassen.
Schon jetzt haben unter der mangelhaften Bewältigung der Coronakrise einkommensschwache Haushalte viel stärker gelitten. Es sind die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die oft auch ein erhöhtes Infektionsrisiko haben, weil sie in Berufen arbeiten, bei denen sie viele Kontakte haben, kein Homeoffice machen können und ihre Kinder in der Notbetreuung abgeben müssen. Es sind Millionen Beschäftigte in Pflege, Kitas, im Einzelhandel und in Supermärkten, in der Logistik oder im öffentlichen Nahverkehr, die zu Recht als systemrelevant bezeichnet werden, aber für ihre Arbeitsleistung seit Jahren nicht mehr gerecht entlohnt werden.
Dazu kommt, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen häufiger vorerkrankt sind und deshalb auch noch einen schwereren Covid-19-Krankheitsverlauf haben. Um Krisen aber gemeinsam erfolgreich zu bewältigen, braucht es gesellschaftlichen Zusammenhalt – und das schaffen wir nur durch eine soziale Wende, finanziert durch eine gerechte Besteuerung der Superreichen.
Und das gilt nicht nur für den Gesundheitssektor. Das gilt auch für den Klimawandel. Es besteht Handlungsdruck. Um die Erderwärmung zu stoppen, bevor unser Planet unbewohnbar zu werden droht, kann nur noch eine bestimmte Menge an Treibhausgasen in die Luft geblasen werden. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht Teile des Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt und die Regierung aufgefordert, verbindliche Emissionsminderungsziele auch für nach 2030 zu formulieren, damit nicht zukünftige Generationen den Preis dafür zahlen müssen. Aber wer soll in den nächsten Jahren die Last dieser Maßnahmen tragen? Jede Verteuerung von Energie- und Spritkosten trifft Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen hart, obwohl sie weniger Emissionen verursachen als die Reichen, die sich noch nicht einmal einschränken müssen, weil sie es sich leisten können.
Und wessen Geldbeutel zu schmal ist, um sich einen teuren Tesla zuzulegen – gebaut in einer tariflosen Megafabrik in Brandenburg –, der droht bei der Mobilität in der schönen neuen Welt der Baerbocks und Lindners unter die E-Räder zu geraten. Wie ungerecht die Denkweise der grünen Kanzlerkandidatin ist, zeigt, dass sie Billigflüge abschaffen will, dagegen eine Beseitigung des Niedriglohnsektors oder höhere Renten nicht zum grünen Sofortprogramm gehören. Im Ergebnis werden Menschen mit niedrigem Einkommen nicht mehr in den Urlaub fliegen können. Die Reichen zahlen stattdessen entspannt die höhere Kerosinsteuer und jetten wie vorher durch die Welt.
Eine sozial ungerechte Klimapolitik, die Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner benachteiligt, ist Gift für die Demokratie und wird zu Recht auf Widerstand stoßen. Wir brauchen stattdessen eine intelligente und effektive Klimaschutzpolitik, die alle Menschen mitnimmt. Um die sozialen Voraussetzungen dafür zu schaffen und für eine solide Finanzierung einer Investitionsoffensive in die Infrastruktur, in einen sauberen Technologiemix, in Bildung und die Rückkehr zu einem funktionierenden Sozialstaat zu sorgen, ist eine gerechte Besteuerung der Multimillionäre und Milliardäre unumgänglich.
Der nächste Bundestag wird darüber entscheiden, ob es einen wirklichen Politikwechsel hin zu einer sozialen Wende und damit eine erfolgreiche Krisenbewältigung geben wird. Und eines ist klar: Mit der Union oder der FDP würde die Weiter-so-Politik regieren. Wir brauchen stattdessen eine starke Linke. Denn nur mit einer starken Linken kann sozial gerechte Politik für die Mehrheit der Bevölkerung Wirklichkeit werden – auch beim Klimaschutz!
Amira Mohamed Ali ist Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.
