Deutschland hat sich lange über die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg definiert. Der neue Armuts- und Reichtumsbericht zeigt, dieses Versprechen wird nicht mehr eingelöst.
Es gibt viele blumige Worte, die gern und häufig verwendet werden, um soziale Lagen in Deutschland zu beschreiben. Von der Mittelstandsgesellschaft und den Bildungsaufsteigern ist da die Rede. FDP-nahe Wirtschaftswissenschaftler beschwören den Fahrstuhleffekt, der bei guter Wirtschaftslage die Armen und die Reichen gleichermaßen nach oben befördere. Der jüngst veröffentlichte Armuts- und Reichtumsbericht zeigt allerdings, was viele Menschen auch im Alltag wahrnehmen: Diese blumigen Worte sind keine Beschreibung der sozialen Lagen in Deutschland, sondern eine krasse Beschönigung fern jeder Realität. Doch es gibt jedoch auch eine sehr gute Nachricht, die wir uns nach dieser bitteren Feststellung allerdings für den Schluss aufheben wollen.
Ein Großteil der Mitte der Gesellschaft befindet sich nicht im Fahrstuhl, sondern auf einer abwärtsfahrenden Rolltreppe. Man muss immer schneller laufen, um nicht nach unten abzurutschen. Wer schon oben steht, schaut dabei nach unten und kann im besten Fall beschwingten Schrittes sogar noch ein paar Treppenstufen nach oben laufen. Wer hingegen unten angekommen ist, bleibt auch da dort.
Und weil das so ist, schrumpft die Mitte der Gesellschaft. Es konzentriert sich immer mehr Vermögen am oberen Rand und immer mehr Schulden ganz unten. In nüchternen Zahlen ausgedrückt klingt das dann so: Personen in der oberen Hälfte der Vermögensverteilung besitzen 99,5 des gesamten Vermögens, also aller materiellen Güter inklusive Immobilien, Aktien oder Sparguthaben. Die zehn Prozent der Bevölkerung mit den geringsten Vermögen verfügen über ein so genanntes negatives Vermögen. Im Klartext: Sie haben weniger als nichts, beziehungsweise mehr Schulden als alles andere.
Doch nicht nur die Vermögen, auch die Einkommen ballen sich am oberen Ende der Rolltreppe und nicht bei denen, die immer schneller strampeln müssen. Auch hier zeigt sich, dass Einkommenszuwächse besonders mittleren und oberen Einkommen zugutekommen. Die untersten Einkommen erleiden sogar Einkommensverluste. Daher nimmt auch die Einkommensungleichheit insgesamt zu.
Wer glaubt, dass Bildung daran etwas ändert, sieht sich getäuscht. Welchen Bildungsgrad ein Mensch erreicht, hängt häufig genau nicht von den eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen ab sondern von der sozialen Herkunft. Denn auch heute gilt: Wer arm ist, geht nicht aufs Gymnasium. Nur ein geringer Prozentsatz der Armen besuchen diesen Schulzweig, während es in den reicheren sozialen Lagen die übergroße Mehrheit ist. Die Geburtslotterie bestimmt also auch das Bildungsschicksal.
Nun sind solche abstrakten Zahlen und Indikatoren nur für Statistikerinnen und Statistiker ein Festmahl. Will man es weniger trocken ausdrücken, reicht ein Blick auf die gesellschaftlichen Folgen. Schmackhaft sind allerdings auch diese nicht: Denn Armut macht das Leben nicht nur hart, sondern auch kurz. Wer ein geringes Einkommen hat, wird als Mann im Schnitt 71 und als Frau 78,4 Jahre alt. Wer sehr gut verdient, lebt als Mann fast ein ganzes und als Frau ein halbes Jahrzehnt länger.
Woran das liegt, kann man erahnen: Wem es an allem fehlt, der oder die kann sich oft nicht gut ernähren. Diese Menschen sind oft harten Belastungen im Beruf ausgesetzt und können sich schlechter gegen Unfälle und Erkrankungen schützen. Und zu guter Letzt hängen soziale Lage und Wohnlage eng zusammen. Ganz nüchtern heißt es im Armuts- und Reichtumsbericht:
„Menschen mit geringen Einkommen sind oft höheren Belastungen durch Umweltprobleme wie Luftverschmutzung und Lärm ausgesetzt, während Haushalte mit höheren Einkommen sich eher eine Wohnung in Gegenden mit weniger Straßenlärm und besserer Luft und Zugang zu Grünflächen leisten können.“
Wollte man ein Fazit für den Armuts- und Reichtumsbericht schreiben, dann wäre es ein unbedingter und verzweifelter Appell zu Handeln. Die Zunahme sozialer Ungleichheit ist auch ein Sprengsatz an den Grundpfeilern der Demokratie. Die Zahlen im Bericht zeigen deutlich: Arme Menschen beteiligen sich seltener an Wahlen. Mit dem Gefühl, das eigene Schicksal nicht bestimmen zu können, nimmt auch das Interesse und die Beteiligung an Politik ab.
Wem also eine demokratische Zukunft in Deutschland am Herzen liegt, der muss jetzt handeln. Denn in Ländern mit geringer ausgeprägter Ungleichheit nimmt die politische Beteiligung ärmerer Schichten zu.
Ein erster Schritt wäre es, dafür zu sorgen, dass der Mindestlohn nicht wie bisher in etwa 2,5 Millionen Beschäftigungsverhältnissen umgangen werden kann. Ein weiterer Schritt sollte den Mindestlohn endlich armutsfest zu machen und auf 13 Euro anheben. Und natürlich müssen wir weiterhin den Sozialstaat ausbauen sowie Hartz IV überwinden. Nur dann führen Erwerbslosigkeit oder Krankheit nicht mehr automatisch in Armut. Und während gegen Armut Geld hilft, hilft gegen leistungslosen Reichtum Umverteilung. Jedes Jahr werden in Deutschland Vermögen im Umfang von um die 100 Milliarden Euro vererbt und verschenkt. Dabei geht es nicht um das kleine Häuschen der Oma sondern um Millionenerbschaften. Dass hier die Steuern für Reiche zu niedrig sind, finden mittlerweile selbst die Reichen.
Die gesellschaftliche Zustimmung zu einer gerechten Umverteilung ist da. Wir als Linke haben immer wieder konkrete Vorschläge gemacht, von der sanktionsfreien Mindestsicherung bis zu einem solidarischen Rentensystem. Ich kämpfe daher für Mehrheiten links der CDU, damit die Rolltreppe auch für die Mehrheit endlich nach oben fährt.
Katja Kipping ist sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.
Zustimmung zu gerechter Besteuerung
Auf die Frage, ob sie die Besteuerung des reichsten Teils der Gesellschaft für zu niedrig halten, antworteten insgesamt 68 Prozent der Befragten mit JA. Selbst unter den als wohlhabend Eingestuften teilt die Mehrheit diese Ansicht.
